Berlins "Central Park" und Bürgerforum
- Die Chance nutzen!
Auf der Berliner Museumsinsel wird bald das größte und sicher auch berühmteste Kulturzentrum der Welt entstehen! Wenn das Humboldt-Forum seine Pforten öffnet! Riesige Menschenmengen, Reisende und Besucher von überall her werden hier, auf dieser Agora der Weltkulturen - in und zwischen den 6 großen Bauten - schauen, sitzen, liegen, denken und flanieren!
Und was macht da die Senatsverwaltung? Sie zerschneidet mit einer Steinwüste und einem Verkehrsstrom, was ein durchgängiges Welt-Forum der Kultur, der Nachdenklichkeit, der Beschaulichkeit und des stadträumlichen Genießens sein sollte! Unten ist das Senatskonzept zu sehen: eine ausgedehnte Verkehrstrasse, eine steinerne Mega-Piste, die den historischen Lustgarten zertrennt, das Humboldt-Forum von den anderen Museen kappt, den Gartencharakter des Lustgartens nachhaltig zerstört...
Hat man bzw. frau (Ingeborg Junge-Reyer, Senatorin für Stadtentwicklung, SPD) denn nichts gelernt von Unter den Linden?! Das war einmal das Wohnzimmer der Berliner! Man ging dort flanieren, ließ sich nieder, mitten unter den Linden, etwa so, wie das heute noch auf der idyllischen Schlossstraße der Fall ist. Dieses Stück Berliner Leben ist dem Autoverkehr zum Opfer gebracht worden: Blechlawinen vertreiben den Menschen, ein Stadtraum wird ungenießbar (allenfalls noch im Vorbeifahren bestaunbar)! Ein Glück, dass wir den Ku'damm haben, sonst gäbe es keinen lebenswerten Boulevard in Berlin! Bei der Senatsverwaltung scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, in jenen 50er- und 60ger-Jahren, als man noch die "autogerechte Stadt" bauen wollte... Es werden "bald bis zu 35.000 Fahrzeuge am Tag" erwartet; die werden dann vor dem Schloss vorbeitosen (ratternd auf gepflasterter Straße!) und den prognostizierten "17.000" (bloß?) täglichen Besuchern der Museumsinsel die Laune vergällen... (Quelle)
Also opfert frau wieder ein Stück Lebensqualität dem Moloch Auto! Aber auch ein Stück Einkommen! Denn diese Stadt wird immer mehr vom Tourismus leben, und nicht von dem bisschen Zeitgewinn derer, die durch den Lustgarten brettern wollen...
Nun hat der ADAC - sogar der! - einen Vorschlag gemacht, diesen Irrwitz aufzuhalten: den Verkehr rings um das Schlossareal herumzuleiten und einen verkehrsfreien Lustgarten zu schaffen - ein genaues Pendant zum gesperrten Brandenburger Tor bzw. Pariser Platz! Allerdings hat das Verkehrskonzept des ADAC einen gravierenden Nachteil: eine lärmende und stinkende Uferstraße da, wo jetzt eine Promenade entlangläuft, vor dem (politisch rechten?) Schloss und hinter dem (linken!) Marx-Engels-Forum (ein schönes Gleichgewicht). Niemand wird mehr dort ins Schiff einsteigen, oder am Geländer lehnen können, um entspannt ein Stück Ferien, ein bisschen Muße mitten in Berlin erleben zu können!
Aber das Alles wäre auch anders möglich:
Am attraktivsten scheint, den Hauptverkehrsstrom nicht am Marx-Engels-Forum vorbei, sondern über die Breite Straße weiträumig umzulenken (verbindend zur verkehrsgerechten Ost-West-Hauptader Leiziger Straße - Getraudenstraße - Mühlendamm - Gruner-Straße, die dann natürlich im Bereich Molkenmarkt eine flüssige Kreuzungslösung behalten muss).
Dadurch würde ein durchgehender, verkehrsberuhigter "Berlin Central Park" entstehen, der den Lustgarten sowie den Monbijou-Park, das Marx-Engels-Forum und das Nikolai-Viertel, ja sogar den Breich vor den Roten Rathaus und um den Fernsehturm herum bis hin zum Alexander-Platz mit umfasst.
Verschiedene Varianten sind denkbar:
Verkehrstechnisch am machbarsten scheint ein ampelgesteuerter Kompromiss zur zeitweisen Verkehrsberuhigung des Lustgarten-Bereichs zwecks Entlastung des 'Nadelöhrs' an der Kreuzung Breite Sraße / Gertraudenstraße-Mühlendamm, das durch eine großräumige Umleitung des Verkehrs entsteht (s. "Variante 3", 1. Bild unten): der Lustgarten (Liebknechtstraße) und des Marx-Engels-Forum (Rathausstraße) würde nur im morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr durchfahren, sowie während des gesamten Winters. Sonst Umleitung des Hauptverkehrsstroms am Schloss vorbei über die Breite Straße! Dafür würde eine zwei-spurige (+ Busspuren bzw. Haltespuren) Straßenführung bei Liebknecht- und Rathaus-Straße reichen (Brücke kann bleiben!). Busse, Taxen und Radfahrer könnten dabei sogar jederzeit den Lustgarten durchfahren (verlangsamter Ampeltakt). Die "Aufpflasterung" der Liebknechtstraße im Parkbereich - ein Senatsvorschlag - ist eine schöne Idee: so integriert sich die Straße in den Park!
Eine andere Variante wäre, die Rathausstraße zur Einbahnstraße zu machen (verkehrsberuhigt nur von Norden her befahrbar, mit erweitertem Bushaltebereich!!). Somit vermiede man auch jeden Nachteil für die Anwohner des Nikolai-Viertels, und gleichermaßen die Kosten und prozeduralen Probleme des Baus einer vierspurigen Brücke! Illustration s. unten: Bild 2.
Busse könnten auch bei weiträumiger Umfahrung des Museumsinselareals immer noch über eine verkehrsberuhigte Karl-Liebknecht-Straße und die Straße Am Lustgarten bis zur Bodestraße und damit zu allen Museen gelangen (nach Kontrollen im Eingangsbereich).
Eine weitere, weniger attraktive Modifikation des ADAC-Vorschlags wäre, die Rathausstraße stärker mit einzubeziehen, entweder so, wie jetzt der Fall, also zweispurig in beide Richtungen, oder sogar verbreitert vierspurig (Illustration s. unten). Die West-Fassaden des Nicolai-Viertel sind allesamt architektonisch unbedeutend. Eine geringfügige Schmälerung der Grünzone zur Verbreiterung der Straße auf vier Spuren würde der Nutzbarkeit des Gartenbereichs weitaus weniger schaden, als ein Ringsum-Kappung durch stark befahrene Straßen (Man vergleiche etwa die Grünzonen in der Mitte heftig umfahrener Plätze wie Ernst-Reuter-Platz, Großer Stern, oder die Tatsache, dass der Mittelstreifen von Unter den Linden nur deswegen nicht mehr als genüssliche Flanierzone genutzt wird [wie im 19. Jahrhundert oder heute die Schlossstraße], weil er vom Verkehr umbrandet ist. Deshalb wäre ein Tunnel vom 17. Juni bis zum Alexanderplatz theoretisch durchaus wünschenswert, wofern bezahl- und machbar...[??]), sowie eine Verbreiterung der Gehwege von Unter den Linden in Verbindung mit einer entsprechenden Verkehrsberuhigung (wie früher schon längst vorgeschlagen)!
Angesichts der Vorteile für die Stadt insgesamt wären auch gewisse unleugbare Nachteile für die direkten Anwohner im Nikolai-Viertel vertretbar, falls der Verkehr dort vorbeigelenkt werden sollte. Umgekehrt wird durch das 'südländische' Flanier-Areal mit Sicherheit auch der Zufluss von Besuchern ins Nikolai-Viertel verstärkt, das somit in den musealen Komplex mit eingebunden wäre (und das ohnehin - geben wir's zu - ein touristisches Retorten-Produkt darstellt).
Die hier vorgelegten Modifikationen des ADAC-Vorschlags (Bilder oben und unten) zur Umfahrung des Berliner Schlosses haben den Vorteil, dass sie den Bereich des Marx-Engels-Forums inkl. "Dom Aquarée" (mit überdachtem Flanierbereich) an die Lustgarten-Fußgängerzone angliedern und beide Spreeufer vollends für Menschen genießbar zu belassen - nicht zuletzt für Touristen, von denen Berlin wesentlich lebt (Tendenz bisher unverdrossen steigend)!
Der Kern der Modifikation des ADAC-Vorschlags: Vermeidung einer Spreeufer-Straße! Umleitung des Hauptverkehrsstroms über die Breite Straße.
Es würde sich anbieten, die Grünzone rings um das Marx-Engels-Forum mit gastronomisch-touristischen Pavillons und ausreichenden Sitzbereichen ("Biergarten"!) 'bewohnbar' zu machen. Zum Bereich vor dem Roten Rathaus und rings um den Fernsehturm bis hin zum Alex könnte ein Fußgängersteig (eine elegante Seil-Leichtkonstruktion!) überleiten, die zugleich einen erhöhten, attraktiven Aussichtspunkt über das gesamte Areal - samt Schloss - bieten würde. Auch dieser Park-Bereich wäre verstärkt durch entsprechende Angebote als ein demokratisches, kulturelles und gastronomisches Forum zu erschließen. Wie im Bild unten gezeigt, könnte anstelle des Marx-Engels-Denkmals ein transparenter, flacher Kuppelbau stehen, der ein Amphitheater überwölbt, in dem sich politische und kulturelle Veranstaltungen durchführen lassen und das zugleich als Restaurant mit genutzt werden kann; beides mit Open-air-feeling, im Sommer ringsherum auf Bodenniveau zu öffnen! Auf der anderen Seite, dem Rathausturm korrespondierend, würde (anstelle des Neptunsbrunnens, der an seinen alten Platz vor dem Schloss zurückkehrt) eine weitere paraboloide, turmartige Leichtbaukuppel stehen, die ebenfalls in kleinerem Rahmen gastronomisch, kulturell und politisch nutzbar wäre und im Sommer einen Biergartenbereich ringsherum bediente. Marx und Engels fänden ihren Platz auf der Plattform zwischen der Fußbebauung des Fernsehturms und den Kaskaden und würden Richtung Schloss blicken (näher an Luther auf der Nordseite der Marien-Kirche herangerückt). Es entstünde ein lebendiges "Bürgerforum Berlin", als passendes Pendant zum Forum fridericianum, zum Humboldt-Forum und zum Rathaus, als moderne Variante des Forum romanum!
Eine solche Planung würde auch die Schicht der jüngeren deutsche Geschichte, inklusive der Wunden, die der Zweite Weltkrieg dem Stadtbild zugefügt hat, erhalten, sowie, ein Stück weit zumindest, respektieren, und sie nicht zugunsten einer Planung wegwischen, in der eine neureiche Bourgeoisie sich an den Leerstellen der tragisch gescheiterten DDR, ideologisch eher rückwärts gerichtet, breit machen will (s. Townhouses auf dem Friedrichswerder). Auf die vorhandene Ebene würde, stilistisch passend, eine weitere aufgetragen, die eine gemeinsame soziale und kulturelle Tradition betont, die zugleich eine 'reformierte', wahrhaft demokratische Zukunft werden soll, die jenes "wir", "das Volk" konsequent mit einbezieht.
Bei den jetzt zu treffenden Entscheidungen ist unbedingt zu berücksichtigen, dass Berlins neue Mitte rings um das Schloss ein touristischer Magnet von Weltrang werden wird, der der Stadt Berlin substantielle Einnahmequellen erschließen wird! Berlin ist gezwungen, von der alten Identität als Industrie-Stadt zur neuen Identität als Service-Stadt zu finden. Je 'ferienmäßiger' und genussvoller der Eindruck der Touristen sein wird, den diese in die Welt hinaus tragen, desto stärker der Rückfluss in Berlins Kassen! Und desto größer wird der kulturell-didaktische Erfolg des Humboldt-Forums!
Durch dieses Konzept wäre sicher auch ein für alle mal das immer wieder herumgeisternde Gespenst einer Zubetonierung von Berlins potentiellem "Central Park" gebannt! (s. Tagesspiegel)
Hilmar H. Werner
BerlinerTourGuide
7.4.2009
PS: Der ein oder andere, den bei diesem Konzept wahrscheinlich die Aufwertung des Marx-Engels-Forums ideologisch stört, sei daran erinnert, dass die beiden nun eben zu unserer Geschichte gehören, die wir bewusst zu bewältigen haben, und dass sie außerdem durchaus ein gesundes Gegengewicht zum rechtslastigen Ballast bilden, der nolens volens mit dem Schloss einher geht...!
PS II: Man vergleiche die Tuilerien in Paris: vor dem großen Innenhof des Louvre wird die Straße Place du Caroussel als Einbahnstraße verkehrsgedrosselt vorbeigeführt (hier ist Platz genug für Flaneure zwischen den Schlossflügeln und der Straße, im Unterschied zu der Situation zwischen Schloss und Karl-Liebknecht-Straße). Um nun die Tuilerien nicht noch weiter zu durchschneiden, hat man in Gegenrichtung einen Tunnel unter dem Garten durchgebaut: Avenue du Général Lemonnier (http://maps.google.de/maps?hl=de&tab=wl > Place du Carrousel, 75001 Paris, Paris, Île-de-France, Frankreich). Das ist das französische Gefühl von weitläufiger Grandeur! (Im Unterschied zu dem gewissen Provinzialismus von Berlin im Vergleich zu Europas Kulturhauptstadt...)
PS III: Merkwürdig, dass frau so lange die "Umfahrung" des Blocks der Russischen Botschaft duldet, die zwangsweise durch die Sperrung der Wilhelmstraße vor der Britischen Botschaft zustande kommt. Hier wäre es Zeit, für ein anderes Sicherheitskonzept zu sorgen und den Verkehr - auch touristisch - wieder sinnvoller fließen zu lassen, im Verbund mit der verlängerten Französischen Straße! Eine durchgängige Französische Straße (17. Juni, Ebert, Behren, Wilhelm [oder eine andere Querstraße], Französische, Werderscher Markt, Schlossplatz, Breite...), parallel zu Unter den Linden, würde natürlich auch erheblich zur Entlastung unseres Prachtboulevards beitragen. Der Hauptverkehrsstrom durch die Mitte von Ost nach West liefe vor allem über die Leipziger (17. Juni, Ebert, Leipziger, Gertrauden, Mühlen, Gruner, Alexander...) und, ergänzend, die Französische, da jeder sowieso weiß, dass alles um das Brandenburger Tor herumbranden muss (oder sollen wir das jetzt auch für die Autos öffen? Wäre doch konsequent, oder?) Und diese Entlastung täte der "Bewohnbarkeit" unserer Champs Elysées nur gut!
Schließlich: Wer konsequent für den ungehinderten Verkehrsfluss vom 17. Juni zum Alex argumentiert, müsste auch für die Wiederöffnung des Brandenburger Tors und die Durchfahrung des Pariser Platzes sein (wo jetzt die Touristen der Welt stehen und, bei sinkender Sonne, jene Eindrücke sammeln, die sie in die Welt hinaus tragen)! Die Alternative ist die konsequente Umleitung des des großräumigen Verkehrs um Unter den Linden bzw. die Beschränkung des Verkehrs dort im Wesentlichen auf die Quartiersversorgung.
PS IV: Was macht den Charme Venedigs aus, von dem alle verzaubert schwärmen, der die Lagunenstadt zum touristischen Mekka macht? Wesentlich, dass es keinen Autoverkehr gibt!
PS V: Ob die gartengestalterische Halbkreis-Lösung des ADAC-Konzepts die genialste aller möglichen ist, bleibt eine andere Frage...
PS VI: Ganz am Ende lasse ich vier Beiträge zur "Stadtdebatte Berliner Mitte" (http://stadtdebatte.berlin.de) vom 28.9.2015 folgen, die das oben zum Thema "Bürgerforum" gesagte konkretisieren und illustrieren.
PS VII: Bei Copyright-Einwänden wegen der Weiterbearbeitung der ADAC-Graphik bitte um entsprechende Nachricht. Die veränderte Graphik wird dann entsprechend überarbeitet. |